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Gasparan

oder Die letzte Fahrt des Francis Drake

Samstag 22. Februar 2014, von Andreas Venzke

Benziger-Verlag, Zürich 1996

Eine Wahnsinnsgeschichte, auf die ich da als junger Mann gestoßen war. Das Schicksal dieses Gasparan hat mich bis heute begleitet ...

Besprechungen

"Andreas Venzke, 35, angesehener Kolumbus- und Gutenberg-Biograph und mithin Experte für Seefahrt und Schwarze Kunst, grub, wo sonst, auf einem Speicher so ein Geheimnis aus: das Tagebuch eines Deutschen, der hundert Jahre nach Kolumbus nach Amerika segelte. Er war an Bord der "Defiance", mit der Englands See-Held Sir Francis Drake zur letzten Piratentour nach Panama pirschte, gierig nach spanischen Gold-Galeonen. Heinrich Hasebeck heißt der Deutsche, ein gläubiger, belesener Simplizius aus Lübeck, und unter seiner Feder wird der Heroe Drake zum drachenhaften Hasardeur, das Leben an Bord zur Hölle und die christliche Seefahrt zur Teufelei. Vom Gelbfieber gefällt, sinkt Drake schließlich (1596) in einem Bleisarg auf den Meeresgrund; Heinrichs packender Grauens-Report, eine Geschichte von unten, überlebte - [...]"

Fritz Rumler
Spiegel-Extra, 4/1996

"[...] schon ist der Leser am Ende des 16. Jahrhunderts angelangt, als Francis Drake, der englische Pirat im Auftrag der Krone, in die Karibik auf Kaperfahrt fährt. Mit dabei sind der Tagebuchschreiber, die Lübecker Heinrich Hasebeck, der an Bord gepreßt wurde, und ein weiterer deutscher Seemann namens Gasparan. Hasebeck, der stumm ist, nutzt das Tagebuch für seine persönlichen Zweigespräche, für die Schilderung der Fahrten, der Menschen an Bord, der Kämpfe, der Lebensumstände, usw. Mit diesem doppelten Kunstgriff erzählt Andreas Venzke gleich mehrere Geschichten auf einmal."

Westfälische Nachrichten

"Ein von verblüffenden seemännischen Details durchtränktes, figurenreiches, spannendes Buch, in dem die Mitschrift eines kleinen Matrosen einen Mächtigen der Geschichte frappierend entlarvt."

Rainer Wochele
Stuttgarter Zeitung

"Sehr spannend,lehrreich,ernüchternd.
Vorliegendes Buch, spannend geschrieben, führt uns auf eine eher ungewöhnliche Weise, an der Seite eines ungewöhnlichen "Helden", in eine Zeit, in der Blödheit, Arroganz, Selbstüberschätzung und viehische Grausamkeit nur zu gewöhnlich waren. Irgendwie modern, nicht wahr? Das Bestürzende daran ist, dass das absolut Negative in diesem Buch Sir Francis Drake ist, ein Held und Vorbild für viele Generationen, meiner einschliesslich. Es ist nicht leicht als Fan von C.S.Forrester mitanzusehen, wie ein Idol vom Podest geschmissen und auf sein menschlisches Mass gestutzt wird. Er ist arg klein geworden. Das, was im Gegenzug Bewunderung, aber auch Unverständnis aus heutiger Sicht hervorruft, ist die fast unbegrenzte Leidensfähigkeit der Menschen in einer Zeit, die schon über die dumpfe Kritiklosigkeit des Mittelalters hinaus ist. Erleichtert legt man das Buch zur Seite, mit dem guten Gefühl, dass heute in modernen Zeiten kein Mensch mehr zum Massenidol und Verführer werden kann. Wer lacht da so hämisch?"

Kommentar in "Amazon" von klingenb cu.lu aus Luxemburg

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Leseprobe

Anfang:

Hier die erste Seite des Original-Manuskripts:

Gasparan: Originalmanuskript 1. Seite

Freitag, den 29. August [8. September] 1595

Großartig, wenn man frei sprechen kann! Sie haben mir nicht viel gelassen, die Schlepper, als sie mich am letzten Sonntag, an einem Sonntag ausgerechnet, mit sich zerrten. Pilgrim’s Rest hieß das Gasthaus, wo sie mich ergriffen hatten. Aber was tut das jetzt noch zur Sache? Aus meinem Beutel haben sie sich genommen, was sie für wertvoll hielten, die paar Münzen, die ich bei mir hatte, meine Sonnenuhr, nur handtellergroß, die für die Zeitmessung an verschiedenen Orten Europas ausgelegt war, oder auch meinen im Stalhof ausgestellten Ausweis. Was sie mir gelassen haben, sind andere Dinge, nämlich das Büchlein, das ich gerade bei mir hatte - die englische Ausgabe des Psalters -, auch mein Schreibrohr, mein gefülltes Tintenfäßlein und vor allem dieses Heft leerer Seiten, in das ich jetzt schreibe. Nie würden diese Menschenräuber einen Fuß in die Läden der Stationers entlang Pater-Noster-Row oder St. Paul’s Church-Yard setzen, der auf Papier spezialisierten, besseren Krämer. Hätten sie gewußt, daß dieses Heft aus italienischem Papier weit größeren Wert hat als die paar Pennies, die sie mir gestohlen haben - sie hätten es mir genommen, wie sie mir sogar den Ring meines Vaters abzogen. So werden eben die Unwissenden für ihre Unwissenheit bestraft.
Wie entlastend es ist, daß ich mich hier ausbreiten kann! Unter Deck wurden wir gehalten wie Schweine im Koben. Speisen und Getränke, das heißt, Brot und Wasser, seilte man zu uns hinab. Anderes durften wir solange bei uns behalten, bis an Deck endlich jemand dazu befohlen wurde, den entsprechenden Eimer hochzuziehen. In dieser Zeit der Trübsal habe ich mir einen Plan zurechtgelegt. Mag sein, daß er nur als Rettungsanker dient. Trotzdem verspricht er Sicherheit. Auf dieser Fahrt, wohin sie auch führen wird, will ich Zwiesprache mit diesem Heft halten. Ich will mich nicht weiter fragen, wozu es nütze. Immerhin kann es nicht sinnlos sein, die Gedanken festzuhalten.
Am Mittwoch morgen preßten sie mich aufs Schiff. - Es sieht so aus, als müßte ich für heute schon wieder abbrechen. Ein gewisser Bodenham hat begonnen, alle aufzuscheuchen, die untätig an Bord herumstehen.

Samstag, den 30. August [9. September] 1595

Nachdem sich die Ausfahrt in Plymouth wegen widrigen Wetters lange - leider um Tage - verzögert hatte, greift der Wind nun in die Segel. Wir machen gute Fahrt, und kaum sind Arbeiten zu tun.
Seit der Ausfahrt können wir uns frei bewegen, das heißt, in den Grenzen, wie sie den einfachen Seeleuten gesteckt sind. Zwar läßt sich auf See für die Herrschaften nicht vermeiden, noch jeden Tag auf das geringe Volk zu stoßen, doch wird auch ein solcher Raum aufgeteilt. Eustace Abbot heißt der Seemann, der in unserem Verlies wie nebenbei sagte, nachdem einer unter uns angekündigt hatte, den Gentlemen an den Kragen zu gehen: "Es bekommt dir besser, an deinem als am Hinterteil eines Schiffes zu rühren. Deines wird immer tief-, ihres immer hochgelegen sein! Das Beste ist, sich sauber zu halten."
So öffneten sich gestern die Luken unseres Gefängnisses, und so sind wir nun frei, oder unser Gefängnis hat sich vergrößert. Immerhin brauchen wir keine Gitter mehr. Und will man sich auf dem endlosen Wasser weiterhin eingesperrt fühlen, könnte vielleicht die Vorstellung beruhigen, daß unsere Wärter mit einsitzen. Jedenfalls unterscheiden wir uns jetzt nicht mehr von den Männern, die auf diese Fahrt nicht körperlich gezwungen wurden. Während die Herrschaften ihren Ruhm haben, die Soldaten ihren Einsatzbefehl, haben die einfachen Seeleute nur ihren ständigen Hunger, der sie an Bord der Schiffe treibt. Aber selbst der Hunger reicht nicht aus, eine Flotte so groß wie diese zu bemannen. Siebenundzwanzig Schiffe habe ich gezählt. Also treibt einige der Matrosen besonders der Durst an Bord, besser, die Folgen des Durstes. Ausgenüchtert finden sie sich schließlich auf einem Schiff wieder. Auf der Suche nach denen, die dem unlöschbaren Bierdurst nachgegeben haben, erhalten die Schlepper am leichtesten ihren Lohn. Bringt aber selbst der Durst nicht genug Männer zur See, sind die Schlepper am härtesten gefordert. Auch auf diesem Schiff befinden sich einige Seeleute - so sie überhaupt Seeleute sind -, die nur die blanke Gewalt führte. Wie sonst hätte es mich zu einem solchen Abenteuer treiben können? Einerlei wohin die Reise geht - sie wird geleitet von John Hawkins und Francis Drake, den wichtigsten Piraten Englands, und diese beiden werden keine Handelsfahrt ins Mittelmeer unternehmen. Trotzdem wird unter den meisten der an Bord Gepreßten schnell vergessen sein, wie und warum sie auf dieses Schiff gekommen sind, zumal wir Francis Drake höchstselbst begleiten dürfen.
Auf den anspornenden Namen Defiance ist unser Schiff getauft, was soviel heißt wie Trotz oder Trotzen. In unserer Zelle reimte ich darauf - im stillen und trotz, ja trotz meiner Abneigung gegen unflätige Ausdrücke - in wechselnden Variationen den ordinären Begriff dessen, was jede Landratte mit der See, der unruhigen, verbindet.
Wie Reptilien zum Sonnenlicht kamen wir an Deck gekrochen, und sofort wurden wir in Empfang genommen von jenem Jonas Bodenham, einem pockennarbigen Finsterling im Rang eines Kapitäns. Von Bier beruhigt und in Reih und Glied angetreten, wurden wir von ihm einer nach dem anderen aufgerufen und über unsere Pflichten belehrt. Einer Wache bin ich dabei nicht zugeteilt worden, noch nicht. Es muß ein erbärmlicher Anblick gewesen sein, wie wir dort zusammengedrängt standen gleich zu verkaufendem Vieh. Wir müssen als das Sinnbild derjenigen erschienen sein, die im Leben nichts mehr verlieren können, weil sie schon alles verloren haben, und die auch nicht mehr gewinnen können, höchstens ein wenig wie jener Eustace Abbot.
Als wir nach unseren Fähigkeiten befragt wurden, spulte Abbot beiläufig ab, sich unaufhörlich seinen grauen Lockenschopf kratzend, wo er bereits überall eingesetzt war, welche Künste er dabei wie gut erlernt hat. Als Bild entstand ein Mensch, der bisher entweder herren- und ruhelos umhergestreift ist oder sich vor nichts hat beugen wollen, je nach Sichtweise. Vielleicht entspricht es diesem Abbot nur, daß auch er diese Fahrt als Folge seines Durstes antreten muß. Bei diesem wenig kräftigen Mann müssen die Schlepper ihre Prämie leicht verdient haben. In unserem Verlies hatte Abbot gesagt, er könne sich beim besten Willen nicht erinnern - wolle es auch nicht -, wie, wo und wann sie ihn ergriffen hätten. Jedenfalls muß er schon oft zur See gefahren sein, da er vor Bodenham mit den Ausdrücken der Seefahrt geradezu um sich warf. Bodenham teilte ihn als einen der wenigen der Stammannschaft zu, denjenigen Seeleuten, die Vorgänge wie das Auftakeln, Brassen oder Fieren verstehen. Entsprechend wird Abbot mehr Heuer bekommen.
Bei dieser Befragung konnte ich immerhin meine Fähigkeiten als Schreiber herausstellen. Nur war Bodenham das nicht zu schätzen bereit, im Gegenteil. Weil ich ihm bedeutet hatte, nicht freiwillig an Bord gekommen zu sein, mußte ich eine Standpauke über mich ergehen lassen. Ein anderer der Gentlemen, ein Herr groß wie eine hochgeschossene Tanne und gekleidet in einen schwarzen Mantel, schien mich allerdings mit einem gewissen Respekt zu betrachten.
Von der Leine gelassen, sahen wir uns dann an Bord um. Zugleich drückten sich aber die meisten vor den Blicken der anderen. Wir richteten uns ein. Viel gehörte indes nicht dazu, außer daß die persönlichen Habseligkeiten begutachtet und irgendwo verstaut wurden - und man einen Schlafplatz im Unterdeck suchte. Seit neustem werden auf den englischen Schiffen sogenannte brasilianische Betten zur Verfügung gestellt, eine Art Netze oder Hängematten. Man befestigt sie an Haken und liegt dann schwebend darin über dem Boden und schläft wie ein Hund, wenn er sich zusammenrollt.
Ich selbst war auf der Suche nach einem ruhigen Ort. Schließlich mischte ich mich an Deck unter die Seeleute, die an der Bordwand lehnten. Einige wollten am Horizont den letzten Fetzen Land krampfhaft im Auge behalten, um ihren Blick noch an irgendetwas Unbeweglichem festzumachen.
Unausweichlich greift am Anfang die Seekrankheit um sich, und selbst erfahrene Matrosen können sich ihr manchmal nicht entwinden. Wenigstens haben wir bisher ruhiges Wetter. Ich gestehe, daß ich gestern, als Bodenham später alle zu irgendeiner Arbeit antrieb, zu einigen der Leidenden schlich. So wurde ich selbst für einen solchen genommen. Auch heute gebe ich mir alle Mühe, möglichst mit fahlem Gesichtsausdruck über Deck zu trotten. Über die Seekranken macht man sich zwar lustig, läßt sie aber unbehelligt.
Der Schiffsarzt mit Namen James Wood verabreicht den Kranken einen Mus aus Ingwer. Ich tat vorhin mein bestes, diese Arznei mit verzerrter Mimik zu schlucken. Wood schilderte dabei jedem die Vorzüge dieser Pflanze. "Der Ingwer, den ich mitführe, ist besonders wertvoll", erklärte der Arzt, der seiner Statur nach eher dem Fleischerhandwerk zuzugehören scheint. "Mir ist in die Hand zugesagt worden, daß er im Licht des Vollmonds ausgegraben wurde. Das ist nämlich die Zeit, wenn sich die Wurzel mit den Strahlen dieses Planeten bis zum Äußersten vollgesogen hat." Überhaupt soll der Ingwer die menschlichen Lebensgeister wecken.

Sonntag, den 31. August [10. September] 1595

Es hat seinen Reiz zu wissen, daß die Erde unter einem hindurchtreibt. Stark fühlt man sich, wenn, so wie jetzt, der Wind zur Arbeit für den Menschen gezwungen wird. Da könnte man beinahe meinen, die zwei Tage, die ich eingesperrt war, wären dazu bestimmt gewesen, diese Gefühle noch zu verstärken. Man fühlt sich ja sogar im Kuhstall wie in der Wohnstube, wenn man im Winter aus der Kälte kommt. Und wie beißend erst empfanden wir zum Schluß die Kälte in unserem Verlies.
Es muß eindrucksvoll anzuschauen gewesen sein, wie die Flotte am letzten Donnerstag von Plymouth ausfuhr. So brüllten die Männer, heulten die Frauen und Kinder, donnerten die Kanonen, daß selbst wir Eingekerkerten nicht stumm bleiben konnten. Reden wurden gehalten, von denen wir zwar kein Wort verstanden, aber die Hurras der Menge hörten, Trompeten schmetterten Abschiedsfanfaren, Trommeln dröhnten, und unter uns fingen einige wild zu kreischen an. Als dann Bewegung in die Schiffe kam, sich die Menschen am Kai und auf Deck noch letzte Botschaften anzeigten oder jedenfalls zuriefen, lauteten die Rufe um mich herum auf die schlimmsten Flüche, die sich ausdenken lassen.
Einige unter uns waren immerhin schon Tage eingesperrt, in einem verdreckten Raum, in den Licht nur durch die Lukengitter drang. Nichts war dort zu tun außer auszuharren auf den vermaledeiten Tag der Abfahrt, den man sich leider herbeiwünschen mußte. Während sich tagsüber das Verließ aufheizte, hatte man uns für die Nacht nicht einmal mit Decken versorgt. Vor allem gab es keinen Schutz vor den Ausdünstungen, vor den Aussprüchen und nicht für alle Schutz vor den gefühlsmäßigen Ausbrüchen der Männer. Einige, die man wie nachtsteife Maikäfer aufgelesen hatte, waren in ihrem Rausch halb bewußtlos in das Verließ hinabgeseilt worden. Andere hatten sich so gegen die Schlepper gewehrt, daß sie noch um sich schlugen, als sich über ihnen schon wieder die Lukengitter geschlossen hatten. Im nachhinein kann ich froh sein, dort nur eine Nacht verbracht zu haben. Jedoch hatte ich Glück in einem solch gemeinen Unglück, daß ich mein Schicksal nicht noch schriftlich ausbreiten will: von London bis nach Plymouth verschleppt und auf ein Schiff gesteckt worden zu sein, das mit seiner Flotte schon seit Tagen hätte auslaufen sollen.
Jedenfalls hielt ich mich an einen gewissen John Fuller, einen Katholiken. Dieser kräftige Mann blieb in dem dunklen Loch zwar zu jedem auf Distanz, jedoch hockte er meist neben mir. Fuller hatten sie aus Penzance verschleppt, als sich dort dieser Segelmacher, wie er etliche Male erzählte, eben als Tuchhändler etablieren wollte. Den Kaufvertrag über den Laden hatten sie gründlich mit ihm gefeiert. Nur verträgt Fuller keinen Alkohol. So fand er sich am nächsten Morgen nicht in seinem Tuchladen wieder, sondern in einer bewachten Kutsche. Ich muß nicht ausführen, welchen Haß Fuller in sich trägt. Daß er neben mir saß und seine breiten Hände rang, meist schweigend, so wie ich, der ich immer schwieg - das verschaffte mir jedenfalls Sicherheit. "Der Kerl kriegt auch seinen Teil!" murmelte Fuller mit drohendem Unterton, als Brot in einem Korb zu uns herabgelassen wurde, oder "Laßt den Kerl in Ruhe!", als mir dann jemand mein Stück Brot wegnehmen wollte.
Nun kann man sich immerhin aussuchen, mit wem man sich an Bord abgibt und wohin man sich zurückzieht. Nur in der Nacht müssen wir wie die Kaninchen in den Bau kriechen, in das stickige Batteriedeck und hinein in diese Hängematten. Aber auch dort ist es so wenig warm, wie die Decken warm sind, die man uns inzwischen gegeben hat. Alle, die außer ihrem Hemd kaum ein zweites Kleidungsstück bei sich haben (mir selbst sind in meinem Beutel einige, gute Kleidungsstücke geblieben), sehnen die Tage herbei, wenn die nördlichen Breiten hinter uns liegen. Dann endlich können wir uns auch in der Nacht auf Deck ausbreiten. Sowieso habe ich gehört, daß wir über den Atlantik setzen werden. Trotzdem lautet weiterhin die wichtigste Frage, was eigentlich das Ziel dieser Fahrt sei.
[...]

Nachwort

Finanziell minderbemittelt zu studieren - was kommt dabei heraus? Nun ja, während des Studiums hat man heutzutage immerhin die Wahl, viel - wie es heißt - jobben zu gehen oder wenig. Wählt man die erste Möglichkeit, wird man sein Studium entsprechend langsam abschließen und hoffentlich als Ausgleich eine gute Endnote einhandeln. Für die zweite Möglichkeit, für die ich mich entschied, gilt in jeder Hinsicht das Umgekehrte. Natürlich schließen einige wenige auch dabei ihr Studium gut ab. Nur zähle ich da zu den vielen, vielleicht nicht nur da.
Während einer meiner Jobber-Einsätze hatte ich jedenfalls in Berlin die Aufgabe, den Dachspeicher einer alten Tabaksfabrik - Miller-Tobacco - auszuräumen. Auf dem Weg zu mehr "Effizienz" und "Rentabilität" - oder wie immer heute umschrieben wird, ob sich etwas "rechnet" oder nicht - hatte die Tabaksfabrik dichtmachen müssen. Ihre Besitzer hatten das Traditionsunternehmen verkauft. Nun stand die Umwandlung des Backsteinbaus in ein modernes Wohnhaus an, das heißt, daß darin Wohnungen eingerichtet wurden, deren Modernität nur die bezahlen können, für die sich sowieso immer alles rechnet. Ich war dabei der, der den Speicher zu räumen hatte für einen zukünftigen "Loft".
Unter allen Jobs, die mir das Studium so schnell abschließen halfen, zählte jener als Speicherausräumer noch zu den angenehmsten. Besser als Schokolade in Weihnachtspyramiden zu stapeln oder Coca-Cola-Automaten nachzufüllen. Zum Glück war die zuständige Reinigungsfirma so sehr "umsatzorientiert", daß auch die "Supervisoren" keine Zeit fanden, ihre auf verschiedenen "Objekten" eingesetzten Jobber wirklich zu kontrollieren. So hatte ich genug Ruhe, den Speicher derart effizient auszuräumen, daß ich alle dort noch gelagerten Gegenstände eingehend untersuchen konnte. Die kostbaren Stücke hatte man allerdings längst zur Seite geschafft. Trotzdem konnte ich in den Schränken und vielen Kisten, unter fingerdickem Staub und zwischen Taubendreck und Spinnweben noch ein paar Dinge aufklauben, die sich jedenfalls für andere nicht mehr rechneten. Einige davon tragen heute noch dazu bei, meine Wohnung vollzustellen. Und ein bestimmtes dieser Dinge ist dann zu dem geworden, was jetzt hübsch gedruckt und gebunden vorliegt.
Nachdem ich bereits Unmengen an brüchigen Tabakskisten, an Metallringen und Dauben alter Tabaksfässer fortgeschafft hatte, stieß ich in einer dunklen Ecke auf einen wurmstichigen Schrank. Seine schön gedrechselte Dekoration war zum größten Teil herausgebrochen oder auf irgend eine Weise weggerissen. Trotzdem war der Schrank abgeschlossen, und im Schloß fehlte der Schlüssel. Voller Eifer schnappte ich mir das Brecheisen, das man mir zusammen mit anderem Werkzeug gegeben hatte. Wie ein Goldsucher kam ich mir vor, als ich die Tür aufbrach. Aber was ich in dem Schrank fand, waren nichts als Lagen von abgehefteten Bürounterlagen, Gebrauchsanweisungen über Takaksmaschinen und Werbebroschüren, alles verklebt, vergilbt oder verrottet. So alt waren die Schriften, daß manche noch in Fraktur gesetzt waren. Wenn ich auch heute vielleicht anders darüber denken würde - damals kamen mir diese Papiere völlig nutzlos vor. Außerdem war ich einfach ärgerlich, nachdem ich mich so in meine Neugier hineingesteigert hatte. Also weg mit dem ganzen Plunder, dachte ich. Ich zerrte den Schrank an die Dachluke und fing an, seinen Inhalt in das Maul einer dieser Plastikrutschen zu stopfen, die heute bei jeder Bausanierung verwendet werden.
Als dann der Schrank bereits um einiges Gewicht erleichtert war und ich schon überlegte, wie ich ihn am besten auseinanderbrechen würde - da hielt ich eine Mappe in den Händen, die mit Schnur und einem Wachssiegel verschlossen war. Nur dieses Wachssiegel erregte im Grunde meine Aufmerksamkeit. Wäre dieser altmodische Verschluß nicht gewesen, so läge der Bericht des Heinrich Hasebeck heute mit Sicherheit auf irgendeiner Müllkippe. Nachlässig rieß ich das Siegel entzwei (und fütterte damit leider die unersättliche Rutsche). Zu meiner Überraschung enthielt die Mappe eine Menge handgeschriebener Bögen, und es handelte sich einmal nicht um technische, "verkaufstechnische" oder dergleichen Texte als vielmehr um irgendwelche privaten Aufzeichnungen.
Wirklich lesen konnte ich das Geschriebene allerdings nicht. Ich hatte es mit einer alten "deutschen Schrift" zu tun. Nur die einzelnen Kapitelüberschriften konnte ich mühelos verstehen. Sie lauteten nur auf die jeweiligen Datumsangaben. Wenigstens war mir bewußt, daß ich es mit einer Art Unikum zu tun hatte. So legte ich die Mappe beiseite und nahm sie am Ende meines Arbeitstages - zusammen mit anderen Dingen - mit nach Hause.
Immerhin war damit die Mappe zunächst gerettet. Hin und wieder zeigte ich sie in der folgenden Zeit Freunden von mir, rein um der Kuriosität willen. Vor allem ließ sich das Papier prima befühlen, das, wie ich später lernte, hochwertiges Büttenpapier ist. Einmal machte jemand den Vorschlag, den Text irgendwie untersuchen zu lassen. Mir aber war das irgendwie zu viel Aufwand.
Erst Jahre später, als ich gelernt hatte, Worte halbwegs geordnet hintereinanderzusetzen, wurde mir die Bedeutung der Mappe klar. Weil ich eine umfangreiche Biographie über Johannes Gutenberg verfaßte, mußte ich viel in alten Dokumenten blättern. Notwendig hatte ich mich mit den früheren Formen einer "deutschen Schrift" abzuplagen.
So zog ich eines Tages endlich meinen Dachspeicherfund wieder hervor. Ich weiß noch, wie ich dieses Mal die Mappe anders zur Hand nahm, mit Vorsicht, mit einer gewissen Bewegtheit. Immerhin wußte ich "Historisches" bis dahin zu schätzen. Ich sah mir zunächst die Schrift genauer an. Nur wenig Rand ist auf dem noch immer schneeweißen Papier gelassen worden. So schwungvoll sind die Buchstaben geschrieben, daß sich die Ober- und Unterlängen gerade nicht berühren. Sieht aus wie ein ornamentales Gewebe, dachte ich. Dann begann ich zu lesen: "Großartig, wenn man frei sprechen kann! Sie haben mir nicht viel gelassen, die Schlepper, als sie mich am letzten Sonntag, an einem Sonntag ausgerechnet, mit sich zerrten [...]" usw. Bald brauchte ich wenigstens nicht mehr Stunden, um zwei oder drei Seiten zu entziffern. Ich erkannte, da hatte jemand offensichtlich im zwanzigsten Jahrhundert das Tagebuch jenes Heinrich Hasebeck bearbeitet, der am Ende des siebzehnten Jahrhunderts gelebt hatte. Und dieser Jemand kann nur der Fabrikbesitzer Peter Miller gewesen sein. Denn auf dem letzten Blatt des Manuskripts findet sich, wie verschämt in die untere rechte Ecke geschrieben, das Kürzel "P. M.".
Fast zwei Wochen lang war ich telefonisch nicht zu erreichen, und nach der Lektüre fühlte ich mich geradezu verpflichtet, das von Peter Miller bearbeitete "Buch" des Heinrich Hasebeck in einem Verlag erscheinen zu lassen. Leider dauerte es noch eine qualvoll lange Zeit, ehe sich dann der Benziger-Verlag bereit erklärte, (Millers Bearbeitung von) Hasebecks Tagebuch zu veröffentlichen.
Zur Person des Peter Miller kann ich kaum etwas mitteilen. Nahezu sein ganzes Leben über muß er jene Tabaksfabrik geleitet haben. Vielleicht habe ich meine Nachforschungen nicht mit der nötigen Intensität betrieben. Aber es verblüfft doch, daß sich seine Lebensdaten von selbst nicht offenbaren. Fast habe ich den Eindruck, als wären alle Spuren seines Lebens verwischt worden. Immerhin erinnerte ich mich an den Namen einer Sekretärin von Miller-Tobacco. Gnädigerweise durfte sie damals noch, als ich den Dachspeicher auszuräumen hatte, bei der "Abwicklung" des Betriebes helfen. Diese liebe Frau konnte mir so weit helfen, als sie für mich die Anschrift eines der früheren Fabrikarbeiter ausfindig machte.
Aber auch der alte Herr, den ich dann aufsuchte - der noch heute, wie er nicht ohne Stolz bemerkte, täglich einen Liter Milch trinke, wie das bei seiner Arbeit üblich gewesen sei -, wußte merkwürdigerweise kaum etwas über das Privatleben seines früheren Chefs. Studiert habe Miller, in England, so viel er wisse, in den Jahren, als die Nazis noch nicht an der Macht waren. Er habe auch ganz das Bild dieser Engländer abgegeben. Selten habe man ihn zu Gesicht bekommen, auch nicht die Büroarbeiter, manchmal tagelang nicht. Dabei sei er nicht verheiratet gewesen. Mit einer zu seinem Leben gewordenen Atembewegung hielt der Alte seine Pfeife am Brennen. Immerhin war bezeichnend, wie er über Miller sprach. Alle hätten ihm viel Respekt gezollt, obwohl er sich wie ein Kumpel verhalten habe. Ein großes Herz habe er gehabt, und als Arbeiter sei man von ihm anständig behandelt worden. Aber bei allem Zugeständnis in die Selbständigkeit des einzelnen Arbeiters - zu der man sogar angehalten worden sei - habe Miller immer auf Pflicht und Ordnung bestanden, das noch stärker in seiner letzten Zeit als Chef. Bis zum Schluß habe er alles daran gesetzt, die Firma erfolgreich weiterzuführen. Er habe, sagte der Alte paffend, immer das Gefühl gehabt, Miller sei es darum gegangen, daß jeder seiner Arbeiter gesichert im Leben stehe. Während der Jahre nach ihm sei das ja weiterhin gutgegangen. Aber heute sehe das wohl anders aus. Er sei jedenfalls froh, heute nicht mehr arbeiten zu müssen.
Viel mehr als diese Informationen konnte ich von dem alten Pfeifenraucher nicht gewinnen. Irgendwann zu Beginn der sechziger Jahre habe Miller die Leitung der Firma abgegeben. Nur hin und wieder habe man ihn noch zu Gesicht bekommen. Immer nachdenklich und irgendwie zerstreut habe er dann ausgesehen. Wann Peter Miller starb, konnte auch der Alte nicht sagen. Vielleicht habe er noch lange gelebt, sagte er abschließend.
Und zur Person des Heinrich Hasebeck selbst - nun ja, ich gestehe, daß ich mir nicht die Mühe gemacht habe, etwa in Lübeck Archive aufzusuchen. Ich hatte noch die Arbeit an meiner Gutenberg-Biographie vor Augen, und sowieso ist es mir schon als Student schwergefallen, mich mit einem Forschungsgegenstand eher methodisch psychoanalytisch, immanent, soziologisch zu beschäftigen als mit dem Gegenstand selbst.
Ohne weiteres kann ich aber feststellen, daß Hasebecks Diktion ungewöhnlich ist. Reiseberichte wurden zwar zu seiner Zeit in vielfältigster Form veröffentlicht. Ich denke da etwa an die zahlreichen Ausgaben der Reisebriefe Vespuccis, an Pigafettas Beschreibung der ersten Weltumsegelung unter Magellan, an Cortes’ Niederschrift über seine Eroberung Mexikos oder - stellvertretend für die vielen Reiseberichte, die ideologisch die europäische Kolonisation der ganzen Welt propagierten - an die große Berichtsammlung Richard Hakluyts über die englischen Seeunternehmungen. In Europa gierte man geradezu nach Informationen über neu entdeckte Erdteile, Menschen und fabelhafte Wesen. Obwohl oft distanziert, ironisch, kritisch, manchmal auch kritisch gegenüber der eigenen Zivilisation, sind aber alle Berichte der sogenannten Entdeckungsfahrten rein deskriptiv. Denn die meisten der veröffentlichten Berichte jener Zeit waren "offiziell" verfaßte Beschreibungen. Dabei war bestimmt nicht gefragt, "analytisch" die eigene Person in den Vordergrund zu rücken. Hingegen liest sich Hasebecks Tagebuch recht modern reflektierend. Es finden sich darin ja oft die eigenen Gedanken, Überlegungen, Befürchtungen ausgedrückt. Das scheint nun eher darauf zu verweisen, daß Peter Miller den ihm überlieferten Text nicht nur übersetzt und mit ein paar Fußnoten versehen hätte.
Andererseits hatte Hasebeck selbst sein Tagebuch offensichtlich nicht zu einer späteren Veröffentlichung bestimmt. Es war einfach sein wichtigster "Kommunikationspartner", dem er alles anvertraute. Warum sollte also ein halbwegs aufgeklärter Mensch am Ende des sechzehnten Jahrhunderts nicht so gedacht und kommuniziert haben?
Nur schade, daß ich Hasebecks originalen Bericht nicht vorweisen kann, daß dieser anscheinend verloren ist. Vielleicht war ich sogar derjenige, der damals beim Speicherausräumen das Tagebuch in irgendeinem Behältnis, einem Kistchen oder Mäppchen, durch jene Rutsche auf immer verschwinden ließ. Es wäre ja möglich, daß Miller, wenn er schon seine überarbeitete, eigene Fassung in dem Speicher unter Verschluß hielt, auch das Original-Tagebuch dort aufbewahrt hätte.
Zum weiteren Verlauf von Francis Drakes (und John Hawkins’) Plünderungsfahrt kann ich immerhin soviel beisteuern: Mit dem irrsinnigen Versprechen auf andere karibische Schätze hatte Drake die Flotte von Nombre de Dios westwärts in eine Bucht mit dem bezeichnenden Namen Golfo de los Mosquitos geführt. Dort wartete man vergeblich auf ein Umschlagen des Windes, zwölf tödliche Tage lang. Zu Hunderten starben die Männer. Am Abend des 6. Februar 1596, des 27. Januar alter Zeit, begann dort auch Drake zu delirieren. Mit schlimmsten Flüchen, gerichtet gegen vermeintliche Verräter, muß er während der Nacht getobt haben. Nachdem er sich von William Whitelocke noch seine Uniform hatte anlegen lassen, legte er sich am Morgen erschöpft ins Bett und starb an diesem 7. Februar.
Es läßt sich denken, wie in der Literatur die letzten Stunden des Sir Francis Drake gewöhnlich beschrieben werden! Das muß ich nicht ausführen. Für die Überlebenden konnte es nur darum gehen, daß die Flotte endlich sicher nach Hause geleitet werde. Dazu wurden Thomas Baskerville zum Befehlshaber und Thomas Drake zu seinem Stellvertreter ernannt. Die Engländer mußten wissen, daß ihnen spanische Kriegsschiffe auf den Fersen waren. Also wollten sie dieser Gefahr ausweichen, indem sie wieder die Südküste der Karibik ansteuerten.
Allerdings hatten die Spanier gar nicht so taktisch gedacht, den Engländern den üblichen Rückweg durch die Straßen von Yucatán und Florida abzuschneiden. Ihre modernen, Apostel genannten Galeonen hatten zunächst Cartagena angesteuert, wo sie reorganisiert wurden. So fuhren die Engländer geradewegs auf sie zu. Zwar drehten sie wegen widrigen Wetters rechtzeitig nach Norden ab, wurden aber von den Spaniern gesichtet und nun direkt verfolgt. An der Isla de Pinos im Süden Kubas trafen die beiden Flotten aufeinander. Je nach Standpunkt verteidigten sich die Engländer bravourös oder wurden sie von den Spaniern schmachvoll aus der Karibik vertrieben. Die englischen Schiffe, die bis dahin noch zusammengehalten hatten, trennten sich spätestens auf dem Atlantik. Mitte Mai trafen dann die letzten in englischen Häfen ein. In welchem Zustand solche Schiffe heimkehrten, findet sich ja in Hasebecks Bericht beschrieben.
Und eigentlich wird darin auch schon die Frage beantwortet, wie es all den Namenlosen erging, die Drakes Todesfahrt überlebten. Zu jener Zeit waren alle sozusagen offiziellen Piratenunternehmungen privat finanziert. Sie mußten Gewinn abwerfen. Und blieb der einmal aus, wie in dem hier vorliegenden Fall, so scheint nichts so typisch gewesen zu sein, insbesondere für englische Verhältnisse, als daß die leer ausgingen, die ihre Forderungen nicht durchsetzen konnten. Viele Seeleute konnten sowieso nicht von den Strapazen genesen und siechten ihr weiteres Leben dahin. Die Finanziers hingegen, zu denen oft genug die Königin zählte, versuchte man so gut es ging zu entschädigen. Sogar nach der Abwehr der spanischen Armada wurde den Seeleuten die Heuer verweigert. Und im Jahr darauf, 1589, entlohnte man den erfolglosen - und für Tausende von Männern tödlichen - Einsatz gegen die iberischen Häfen mit ganzen fünf Schillingen pro Person. Da nutzte es auch nichts, daß sich einige Hundert Soldaten auf den Weg nach London machten, bewaffnet. Sie wurden von der Bürgerwehr gestellt. Ihre Anführer knüpfte man auf.
Und wie mag Gasparans Tagebuch die Zeiten überdauert haben? Zu all denen, die auf dieser Fahrt den Tod fanden, zählte auch Drakes wichtigster Navigator, Abraham Kendall. Nun ist überliefert, daß zu dessen Habseligkeiten ein Handbuch der Navigation gehörte, eine Abschrift der bis dahin noch unveröffentlichten Certaine Errors in Navigation des Edward Wright, die dem Earl of Cumberland übergeben wurde. (Siehe David W. Waters: Elizabethan Navigation, S. 31, in der von Norman J. W. Thrower herausgegebenen Essay-Sammlung Sir Francis Drake and the Famous Voyage, 1577-1580; Berkeley, Los Angeles, London 1984.) Abraham Kendalls Hinterlassenschaft hatte also ihren Weg zurück nach England gefunden. So kann diese Tatsache als Indiz dafür genommen werden, daß auch Hasebecks Tagebuch in Kendalls Besitz gewesen sein muß. Weiter kann ich nur spekulieren. Vielleicht ist das Tagebuch ebenfalls dem Earl of Cumberland ausgehändigt worden und später in irgendeiner privaten Kiste verschwunden oder in einem Archiv gelandet oder in den Besitz eines Handschriftenhändlers gelangt. Jedenfalls hätte dann der Besitzer, schon dieser Earl vielleicht, nichts damit anfangen können. Es muß ja auf Niederdeutsch verfaßt gewesen sein. Und wenn dann alle Spekulation nicht mehr weiterhilft, bleibt wenigstens noch die Phantasie, etwa dahin: In den zwanziger Jahren hätte in England ein junger deutscher Student von einer adeligen Dame ein unansehnliches Heft in die Hand gedrückt bekommen, verbunden mit den Worten: Schauen Sie sich das einmal an, mein Herr! Ist das nicht in Ihrer Sprache verfaßt? Sofort wäre Peter Miller Feuer und Flamme gewesen, und die Dame hätte ihm das Heft wenn nicht überlassen, dann zur Verfügung gestellt.
An "Technischem" zur Art der Herausgabe habe ich nur soviel zu erläutern: Die mir vorliegende Fassung des Tagebuchs habe ich unverändert gelassen, auch wo in dem Text gewisse Ortsbezeichnungen erscheinen, die heute anders lauten müßten wie etwa Guadeloupe statt Guadalupe. Nur bei den Datumsangaben habe ich die Namen der entsprechenden Wochentage und in Klammern die Daten unseres heutigen, gregorianischen Kalenders nachgetragen. Darüber hinaus habe ich eine Liste der wichtigsten Personen und deren jeweiliger Funktion angefügt.
Um einen einzigen, schwerwiegenden "Kommentar", wenn man so will, kam ich allerdings nicht herum. Ein Buch braucht ja einen Titel. Nun hat der in Zeiten, wo sich alles rechnen muß, klingend zu sein. Deswegen konnte Heinrich Hasebecks Tagebuch nicht so heißen, wie es allein angemessen gewesen wäre: "Das Tagebuch des Heinrich Hasebeck." Weil aber Hasebeck als Autor sowieso herausgestellt ist, habe ich mich entschlossen, einmal einen der ewigen Verlierer aufs Titelblatt zu setzen.

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