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"Nach Diktat verreist"

Ende einer Mitgliedschaft: Austritt aus dem "Verband deutscher Schriftsteller"

Donnerstag 27. Februar 2014, von Andreas Venzke

Das Leben ist nicht ohne Schuld, leider. Man macht Fehler, täuscht sich und kann manchmal arg daneben liegen. Aber in manchen Fällen hat man doch richtig gehandelt, wie man das jedenfalls vor dem eigenen Gewissen empfindet. In meinem Leben ist das hier so ein Fall. Da würde ich hoffentlich wieder meine Stimme heben, auch wenn die Masse ganz anders schreit.

"Dokumentation"

Leserbrief von Andreas Venzke an die Zeitschrift der IG Medien "Kunst & Kultur"

War nicht der VS einmal als links verrufen, und war dieser Ruf eigentlich so schlecht, da doch in Deutschland die Gesellschaft, mit der sich Schriftsteller auseinanderzusetzen haben, sowieso immer konservativ gewesen ist, mit der SPD auf der einen Seite, der CDU auf der anderen? Daß aber die deutschen Schriftsteller mit dem, was sie öffentlich verbreiten, eben auch die deutsche Gesellschaft widerspiegeln und sie in der Mehrzahl wohl nie links gestanden haben, ist sicherlich immer eines der Probleme des VS gewesen. Seit der deutschen Wiedervereinigung schiebt nun diese ganze Gesellschaft mit unglaublichem Druck nach rechts. Wie wichtig sind da Verbände, die dagegenhalten, Institutionen wie der VS! Doch wie hält nun der VS dagegen, wenn eines seiner Mitglieder ausgerechnet die Überreichung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels dazu nutzt, einmal mehr sein nationales Coming-Out zu inszenieren, wenn dieses Mitglied dazu die Erinnerung an den Holocaust diskreditiert, wenn ein solcher Kollege dabei die kritischen (und damit wenigen) Vertreter der öffentlichen Meinung zu "Meinungssoldaten" macht, die "mit vorgehaltener Moralpistole den Schriftsteller in den Meinungsdienst nötigen", wenn ihm dafür noch an Ort und Stelle über tausend Herrschaften, darunter die politische Elite des Landes, stehende Ovationen darbringen, wenn in dieser Stunde Ignatz Bubis, Vorsitzender des Zentralrates der Juden in Deutschland, am liebsten den Raum verlassen möchte, wenn sich eben Ignatz Bubis anschließend von einem solchen Friedenspreisträger vorhalten lassen muß, er (der ein Überlebender des Holocaust ist) habe sich erst viel später als der Friedenspreisträger (der ein Wehrmachtssoldat war) mit Auschwitz befaßt? Wird diesem Mitglied dann nahegelegt, aus dem VS auszutreten? Oder was passiert? Da lesen dann in Stuttgart zwölf Schriftstellerkollegen dessen Texte ("viele noch hätten gern mitgemacht") - aus Protest dagegen, daß "gerade" dieser Kollege "in die rechtsradikale Ecke gestellt" werde. So als würde der Mann verfolgt! Und als der Bezirksverband Frankfurt der GEW zu einer kritischen Debatte über einen solchen Friedensstifter einlädt, protestieren der Vorsitzende des VS, Fred Breinersdorfer, unterstützt noch vom Vorsitzenden der IG-Medien, Detlef Hensche, "in aller Schärfe" und im Namen ihrer Verbände dagegen, den Friedenspreisträger als "Antisemiten zu denunzieren"! Man glaubt das alles nicht. Um mich jedenfalls in Zukunft als VS-Mitglied, das ich noch bin, nicht unter falsche Freunde eingereiht zu finden, erkläre ich hiermit: Die Ansichten eines solchen "Kollegen" und dessen Verteidigung durch den VS usw. widern mich an.

Freiburg, den 3. März 1999
gez.: Andreas Venzke


Schriftverkehr zu diesem Leserbrief


An: Kunst & Kultur
Friedrichstr. 15
70174 Stuttgart

Leserbriefe

3. März 1999
Sehr geehrte Damen und Herren,

hiermit möchte ich Sie darum bitten, den beiliegenden Leserbrief in der nächsten Ausgabe von "Kunst und Kultur" abzudrucken. Auch wenn ich mich sonst nie in Verbandsangelegenheiten eingemischt habe, in diesem Fall ist mir das sehr wichtig. Irgendwann reicht es - da muß man einfach aufstehen und sich erklären. Ich schicke Ihnen den Text zum leichteren Abdruck auch als Anlage einer E-Mail, Name: "Leserbri.txt".

Mit freundlichen Grüßen
gez.: Andreas Venzke


Als Fax an: Kunst & Kultur

Betr.: Leserbrief

6. März 1999
Sehr geehrte Damen und Herren,

in meinem Schreiben an Sie vom 3. März sind mir leider zwei Fehler unterlaufen. Sie haben ja gesehen, daß ich den Leserbrieftext nicht, wie angekündigt, auch per E-Mail geschickt habe (im Impressum von Kunst & Kultur ist keine E-Mail-Adresse angegeben), sondern auf Diskette.
Außerdem bitte ich Sie, in dem Leserbrief Folgendes zu berichtigen (Sie haben das wohl schon selbst bemerkt): Zum Schluß muß es statt: "... nicht unter falsche Freunde eingereiht ..." — heißen: "... nicht unter falschen Freunden eingereiht ..."
Vielen Dank und noch einmal

freundliche Grüße
gez.: Andreas Venzke


An: Kunst & Kultur

Leserbriefe

23. März 1999
Sehr geehrte Damen und Herren,

heute habe ich die neue Ausgabe von "Kunst und Kultur" erhalten. Allerdings finde ich darin nicht einen Leserbrief von mir abgedruckt, den ich Ihnen bereits am 3. März geschickt hatte. Daher meine Frage: Warum haben Sie diesen Leserbrief noch nicht abgedruckt? War die Zeitschrift zu jener Zeit schon umbrochen, gar schon gedruckt? Oder haben Sie mein Schreiben nicht erhalten? Ich hatte Ihnen allerdings am 6. März auch ein Fax mit einer kleinen Korrektur geschickt. Auf jeden Fall schicke ich Ihnen hiermit "sicherheitshalber" den Leserbrief noch einmal zu - mit der Bitte um Abdruck in der nächsten Ausgabe von "Kunst und Kultur".
Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir eine Nachricht zukommen lassen könnten, was wohl der Grund dafür war, warum mein Leserbrief noch nicht veröffentlicht worden ist.

Mit freundlichen Grüßen
gez.: Andreas Venzke


An: Kunst & Kultur

Redaktion

1. April 1999
Sehr geehrte Damen und Herren,

am 3. März hatte ich Ihnen einen Leserbrief mit der Bitte um Veröffentlichung zugeschickt, daraufhin am 6. März ein Fax, schließlich am 23. März ein Schreiben mit der Bitte, mir doch zu erklären, warum mein Leserbrief in "Kunst & Kultur" noch nicht veröffentlicht worden ist. Sie haben mir bis heute nicht geantwortet.
Da ich also davon ausgehen muß, daß Sie mein Verlangen schlichtweg zu ignorieren gedenken, sende ich nun diesen Brief (einschl. meines Leserbriefs und meiner Schreiben an Sie) auch an den Vorstand der IG-Medien und des VS. Dazu erkläre ich: Angesichts der Reaktionen von IG-Medien und VS auf die durchaus "geistiger Brandstiftung" zu bezichtigende "Friedenspreis"-Rede Martin Walsers ist mein Leserbrief an "Kunst & Kultur" für mich die einzige Möglichkeit, meine Mitgliedschaft in VS und IG-Medien moralisch weiterhin zu rechtfertigen. Sollten Sie mir diese Möglichkeit nicht gewähren (die ich in einem demokratisch geführten Verband für selbstverständlich erachte), könnte ich zu einer solchen Gewerkschaft nicht mehr stehen.

Mit freundlichen Grüßen
gez.: Andreas Venzke


An: Andreas Venzke
Freiburg im Br.

12. April 1999
Sehr geehrter Herr Venzke,

in Beantwortung Ihrer ungehalteten Schreiben teile ich Ihnen mit, daß erstens Ihr Brief in der Angelegenheit "styx" zu spät eingetroffen ist. Das Heft war abgeschlossen und damit auch das Ende der Beiträge zu diesem Thema gekommen. Wie Sie lesen konnten, ist das Thema erschöpfend behandelt.
Zweitens: Ihre Stellungnahme zu Walser kommt ebenfalls viel zu spät. In unserem November-/Dezemberheft haben wir zu Walser Stellung bezogen, im übrigen in Ihrem Sinn.

Mit freundlichen Grüßen
gez. Josef Singldinger
(nach Diktat verreist)
f. d. R.
gez.: Ulrike Küstler


An: Kunst & Kultur

Redaktion

13. April 1999
Sehr geehrte Damen und Herren,

da Herr Singldinger nun also verreist ist, wende ich mich auf sein Schreiben vom 12. April weiterhin formal an Sie als "Redaktion":
Erstens: Ich habe mit der Angelegenheit "styx" nichts, überhaupt nichts, zu tun. (Was doch so eine "Verwechslung" alles aussagt!)
Zweites: Als VS-Mitglied habe ich der Redaktion von "Kunst & Kultur" einen Leserbrief geschickt, der bisher nicht gedruckt wurde. Es geht darin um die Art, wie sich VS und IG-Medien zu Martin Walser und seiner "Friedenspreis"-Rede verhalten haben. Die entsprechenden Stellungnahmen von VS und IG-Medien datieren vom Januar 1999. Ich erfuhr davon im Februar. Meinen Leserbrief schrieb ich am 3. März. (Sie können dazu also schwerlich im November-Dezemberheft "in meinem Sinn" Stellung bezogen haben.) Darin mache ich deutlich, daß ich das Verhalten von VS und IG-Medien zu Martin Walser und seiner "Friedenspreis"-Rede für empörend und mit meiner Einstellung als Gewerkschaftsmitglied nicht vereinbar halte. Ich bitte Sie nun zum letzten Mal darum, mir die Meinungsfreiheit zuzugestehen und meinen Leserbrief vom 3. März zu drucken. Damit ich über Ihr weiteres Verhalten nicht wieder im unklaren bleibe, bitte ich Sie außerdem darum, mir ein zweites Mal zu antworten. Es reicht eine Karte mit den Worten: Wird gedruckt/Wird nicht gedruckt. (Herrn Singldingers Brief an mich vom 12. April und dieses Schreiben sende ich auch wieder an den Vorstand von VS und IG-Medien.)

Mit freundlichen Grüßen
gez.: Andreas Venzke


An: Andreas Venzke
Freiburg im Br.

12. April 1999
Sehr geehrter Herr Venzke,

um unseren Briefwechsel in der Angelegenheit Walser zu beenden, teile ich Ihnen mit, daß Ihr Leserbrief nicht abgedruckt wird.
Leserbriefe in KUNST & KULTUR sollen sich auf das, was in der Zeitschrift nachgelesen werden kann, beziehen. Der Brief Detlef Hensches an die GEW, in dem er die Formulierung eines Aufrufs dieser Gewerkschaft kritisiert und der der Grund Ihrer Stellungnahme ist, wurde nicht in KUNST & KULTUR aufgenommen. Man kann also das, was Sie schreiben, nur verstehen, wenn man den Hintergrund kennt. Außerdem beziehen Sie sich auf einen Vorgang, der im Januar geschah. Aus journalistischen Gründen, nicht aus inhaltlichen, müssen wir uns auch an die Chronologie der Ereignisse halten.
Im übrigen: Als ich im Oktober 1998 die Rede Walsers hörte, in der er unter anderem davon sprach, daß Auschwitz "instrumentalisiert" würde, war ich empört. Schrecklich ist für mich heute, wenn Auschwitz, wie die Regierenden es uns vermitteln, tatsächlich dafür herhalten muß, um den Kriegseinsatz im Kosovo zu legitimieren.
Im übrigen finde ich Ihren Leserbrief gut; ich bitte Sie nur, wenn Sie wieder schreiben, dies rechtzeitig zu tun.

Mit freundlichen Grüßen
gez.: Josef Singldinger


An: Kunst & Kultur

Herrn Singldinger

26. April 1999
Sehr geehrter Herr Singldinger,

als hätten wir einen "Briefwechsel" in der Angelegenheit Walser gehabt! Ohne Sie zu kennen, habe ich einzig darum gebeten, daß ich meine Meinung in Form eines Leserbriefs in "Kunst und Kultur", sozusagen der Mitgliedszeitschrift meiner Gewerkschaft, öffentlich machen kann. Mein Anliegen haben Sie zuerst wochenlang ignoriert und auf mein Drängen hin dann geradezu abgefertigt. Und da Sie nun auch entscheiden, wann dieser "Briefwechsel" beendet ist, will ich Ihnen wenigstens noch antworten, daß damit meine Mitgliedschaft in der IG-Medien beendet ist.
Die Art und Weise, wie IG-Medien und VS auf die "Friedenspreis"-Rede Martin Walser reagiert haben, finde ich empörend. Daß mein Name da ausgenommen wäre - nur in der Form eben meines Leserbriefs hätte ich meine weitere Mitgliedschaft in einer solchen Gewerkschaft rechtfertigen können. Ich möchte zu mir stehen können.
Im übrigen: Wollen Sie wirklich behaupten, daß immer alles, was in "Kunst und Kultur" als Leserbrief erscheint (bzw. erschienen ist), sich auf einen entsprechenden Artikel der Zeitschrift bezieht (bzw. bezogen hat)? Und schränken Sie diese Aussage nicht selbst ein: "sollen sich beziehen"? Und wie buchhalterisch ist es, wie sophistisch, wenn Sie dann anführen, die Stellungnahme Detlef Hensches "wurde nicht in Kunst & Kultur aufgenommen" - und das, was ich schreibe, könne man also nur verstehen, wenn man den Hintergrund kennt? Meinen Sie das ernst? Meinen Sie, die Leser von "Kunst & Kultur" lebten außer der Welt, hätten die Vorgänge nicht verfolgt, die Walsers Rede nach sich zog? Und wenn Sie das wirklich meinen sollten: In meinem Leserbrief mache ich den Hintergrund sichtbar! (Und überhaupt: Fungiert in einer Gewerkschaftszeitung die Leserbriefseite nicht prinzipiell als demokratisches Forum?)
Was am Ende "die Chronologie der Ereignisse" angeht: Daß Sie einmal mehr darauf verweisen, spricht dem Ablauf geradezu Hohn. Wie ich Ihnen bereits geschrieben hatte: Die entsprechenden Stellungnahmen von VS und IG-Medien datieren vom Januar 1999, im Fall Hensche und GEW erst vom 26. Januar. Ich erfuhr davon spät im Februar. Meinen Leserbrief schrieb ich am 3. März. Dessen Veröffentlichung in der Märzausgabe von "Kunst und Kultur" (die zum Ende des Monats erschien) oder auch in der April-Ausgabe hätte wohl nicht gegen die "Chronologie der Ereignisse" gesprochen (bei einer Zeitschrift, die monatlich erscheint, auch nicht "aus journalistischen Gründen") - und würde nicht einmal in der nächsten Ausgabe dagegen sprechen!
Ich kenne Sie nicht persönlich, und ich weiß nicht, was Sie dazu bewogen hat, mein Anliegen derart abzutun. Da ich in dieser Sache bisher auch nicht von anderen Stellungnahmen der IG-Medien oder des VS gehört habe, muß ich nun allerdings davon ausgehen, deren schändliche Verteidigung Martin Walsers solle "offiziell" sowieso kein Thema sein. Das würde freilich zu diesen Zeiten nur passen.

Mit letztem Gruß
gez.: Andreas Venzke

P. S.: Und zum letzten Mal auch der Hinweis, daß eine Kopie dieses und Ihres Schreibens auch wieder an die Vorstände von IG-Medien und VS geht.


An: IG Medien
Theodor-Heuss-Straße 16
70174 Stuttgart

Vorstand

26. April 1999
Sehr geehrte Damen und Herren,

hiermit kündige ich zum nächstmöglichen Zeitpunkt meine Mitgliedschaft in der IG-Medien. Daß Ihr Verband einen Schriftsteller, der die Überreichung ausgerechnet eines bedeutenden Friedenspreises dazu nutzt, nationalistisch und kaum verhohlen antisemitisch zu argumentieren, nicht nur nicht mit dessen Verhalten konfrontiert, sondern sogar ausdrücklich verteidigt ("in aller Schärfe"), kann ich nicht mittragen. (Die Vorstellung ein Grauen, dessen und seiner Verteidiger "Kollege" zu sein!) Die einzige Möglichkeit, meine weitere Mitgliedschaft vor mir selbst zu rechtfertigen, wäre die Veröffentlichung eines Leserbriefs gewesen, den ich auch Ihnen zur Kenntnisnahme zugeschickt hatte. Daß mir diese Möglichkeit nicht gewährt wird (und allein die Art, wie dies geschah!) ist für mich erst recht ein Zeichen dafür, daß Ihr Verband eben so ist, wie er sich bei der Verteidigung jenes Schriftstellers geriert hat.

Alles Gute
gez.: Andreas Venzke


An: Andreas Venzke

Freiburg im Br.
8. Juni 1999

Sehr geehrter Kollege Venzke,

nachdem wir nun nichts gegenteiliges mehr zu Ihrem Kündigungsschreiben gehört haben, was wir im übrigen sehr bedauern, bestätigen wir Ihnen hiermit den Kündigungstermin gem. Satzung zum 30. Juni 1999.

Mit freundlichen Grüßen
IG Medien - Druck und Papier, Publizistik und Kunst
Landesbezirk Baden-Württemberg
gez.: Dagmar Mann


An: Andreas Venzke
Freiburg
21. Juni 1999

Lieber Andreas,

auf der Vorstandssitzung des VS letzte Woche erfuhr ich von Deinem Brief an Imre Török sowie von Deinem bereits vollzogenen Austritt aus dem VS, den ich sehr bedaure.
Ich habe zu den Vorgängen um Martin Walser eine andere Meinung, aber darüber will ich nicht mit Dir diskutieren. Zwei Dinge möchte ich Dir sagen: als Redakteur der "Feder" bin ich auch hin und wieder in der Situation, Meinungsäußerungen oder Leserbriefe nicht abdrucken zu können, weil es den Rahmen sprengen würde, weil es anderweitig bereits gesagt wurde, weil Diskussionen irgendwann "erschöpft" sind, ohne dabei unbedingt abgeschlossen zu sein. Bei einem Periodikum ist es ein begrenzter bestimmter Platz, bei der Diskussion am Stammtisch ist es die Müdigkeit oder die letzte Runde, weil das Lokal schließt oder irgendetwas anderes...
Der zweite Punkt ist aber der wichtigere, und ich bitte Dich, daß Du Dir Deinen Schritt noch mal überlegst. Du warst Mitglied eines Berufsverbandes, der mehr als 3000 Mitglieder hat, von denen bestimmt noch manch andere Dir nicht genehme politische Ansichten haben. Dennoch schützt Dich dieser Verband in der Ausübung Deines Berufes, und das ist auch sein Hauptzweck. Wenn Du nicht mehr Mitglied bist, kann der Verband sich auch nicht mehr für Dich, in welcher Form auch immer, engagieren, denn das wäre wiederum unfair gegenüber den treuen Verbandsmitgliedern. Das klingt jetzt reichlich formal, ist aber ein Fakt.
Ich bitte dich also herzlichst, Deine Entscheidung abzuwägen.

gez.: Viele Grüße Rolf Bergmann


An: Rolf Bergmann
Frankfurt/M.
30. Juni 1999

Lieber Rolf Bergmann,

danke für Dein Schreiben. Ja, ich weiß durchaus, wie wichtig es sein kann, Mitglied im VS zu sein. Doch muß ich zu einem solchen Verband stehen können. Und das hätte ich nach den Reaktionen von VS und IG-Medien auf die Auslassungen Martin Walsers nur noch gekonnt, wenn in Form meines Leserbriefs öffentlich zu erkennen gewesen wäre, daß ich das Verhalten eines solchen Verbandes verabscheue. Mit Leuten, die Walsers dumpfe Stammtischparolen (sich von "Auschwitz" verfolgt zu fühlen, zu meinen, "Auschwitz" werde gegen die Deutschen benutzt, die Erinnerung an "Auschwitz" müsse Privatangelegenheit werden usw.) auch noch rechtfertigen, dabei kritische Stimmen denunzieren, gar zur Solidarität mit ihm aufrufen - mit solchen Leuten will ich nichts teilen. Und wenn dann mein Anliegen, meine Meinung dazu öffentlich zu machen, zuerst ignoriert, dann gar bürokratisch arrogant abgetan wird ("in Beantwortung Ihrer ungehaltenen Schreiben"; "nach Diktat verreist" - was ganz und gar nichts mit den Gründen zur Ablehnung eines Leserbriefs zu tun hatte, wie Du sie angeführt hast) - da kommt dann eben alles zusammen. Nein, in einem solchen Verband, der auch noch einen Kollegen schützt, wenn dieser sich nationalistisch und gar antisemitisch gebärdet, in einem solchen Verband, der einen solchen Kollegen nicht mindestens mit dessen Aussagen konfrontiert - mindestens - und der dabei andere Meinungen unveröffentlicht läßt - in einem solchen Verband will ich nicht mehr sein.
Dir wünsche ich weiterhin

Alles Gute
gez.: Andreas Venzke