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Kap. 10 [Wilke spricht]

Zum Thema "Klopapier"

Samstag 28. März 2020, von Andreas Venzke

Vielleicht ist ja die Geschichte vom ollen Wilke dazu bestimmt, Entwicklungen vorauszusehen. Das hatte sich immerhin eindringlich am Skandal um die Wurstwaren des namensgleichen Betriebs gezeigt. Auch Wilkes Leberwurstbrötchen war ja offensichtlich hygienisch nicht ganz in Ordnung …

Und in diesen ver-rückten Zeiten des Frühlings 2020 hat in Deutschland plötzlich das Klopapier eine ungeheure Bedeutung bekommen. Auch dazu hat nun allerdings Wilke schon Bedeutendes beigetragen. Wer es noch nicht kennt, kann es hier gern lesen oder sich anhören ...

 

Andreas Venzke: Wilkes Tag

Das Überflüssigste, was es gibt
Andreas Venzke/Wilkes Tag (2020)

 

10. Das Überflüssigste, was es gibt

Ich gehe ins Bad und schließe ab. Ich müsste zwar nicht abschließen, weil meine Frau weiß, dass ich gerade tue, aber es gibt mir Sicherheit. Ich muss dabei einfach für mich sein – wie ein Elefant, der zum Sterben auch allein sein will. Schließlich geht es durchaus um ein Stück Kultur.
Doch obwohl ich die gerade in eigener Weise zelebrieren will und ich mich sogar darauf freue, dass es bei mir nach dem Frühstück gleich tut, ich mich sogar auf das Gefühl freue, wenn es dann passiert, habe ich plötzlich wieder eine Hemmung, als ich sitzend doch zur Seite blicke. Sie haben doch da tatsächlich ein Bidet eingebaut. Da zieht sich bei mir wieder alles zusammen, und ein Gedanke prescht derart vor, dass er auch nicht mit Gewalt zu stoppen wäre: Das habe ich den Italienern zu verdanken, oder irgendwelchen Italophilen! Denn irgendjemand muss das Badezimmer ja bewusst so eingerichtet haben!
In Italien habe ich immer wieder diese Bidets gesehen. So verachtend, wie ich das Bidet angucke, weiß ich doch, dass es sich in Deutschland untergründig verbreitet, wie Klee, wenn der sich einmal im Rasen festgesetzt hat. Ich hasse es. Ein Bidet ist wie eine Bedrohung. Die Anwesenheit eines Bidets stellt ständig die Frage, wozu es wohl genau benutzt wird. Es kommt mir vor wie ein Angriff auf meine Reinlichkeit, als würde es unterstellen, dass ich nicht wirklich sauber wäre. Ich verdamme es geradezu.
Beim Stichwort Bidet kann ich nicht anders, als laut vor mich hin zu sprechen: „Ein Bidet? Die nehme ich immer, um mir darin die Fußnägel zu schneiden.“ Bei diesem Witz müssen doch alle garantiert lachen, alle Deutschen. Denn so denken ja wohl die meisten, von meiner Schwiegertochter und meinem Herrn Sohn natürlich mal abgesehen: Ein Bidet ist das Überflüssigste, was es gibt. Wenn man wirklich für so etwas noch Platz im Bad hat, kann man doch ein zweites Waschbecken montieren, oder gleich ein Pinkelbecken für die Männer. So ein Ding ist sowieso für die Frauen, und die nehmen eher einen Waschlappen, wenn überhaupt. Ich werde jedenfalls weiterhin nur Klopapier nehmen. Nein, ein Bidet ist etwas Fremdartiges. Schon deswegen sind mir die Italiener nicht ganz geheuer, obwohl sie sonst schon etwas von Kultur verstehen – das muss man ihnen lassen. Nur mit ihren Bidets bedrohen sie das Selbstverständnis der Deutschen. Als hätten die Deutschen keine Kultur! Am liebsten würde ich das Bidet in meiner Wohnung abreißen lassen. Das ließe sich jedoch nur mit großem Aufwand verwirklichen, also mit hohen Kosten. Es ist ja schon dahin gekommen, dass ich meine Frau im Verdacht habe, das Bidet selbst zu benutzen. Ich habe es schon ein paar Mal feucht vorgefunden. Einmal war ich kurz davor, durchs Schlüsselloch zu gucken. Aber da habe ich mich doch zusammengerissen. Ich will mich in das Bidet-Problem nicht hineinsteigern. Nur verdirbt es mir im Bad regelmäßig die Laune, und nicht nur das.
Als ich mir die Hände gewaschen habe und zurück ins Wohnzimmer schlurfe, ärgere ich mich aus vielerlei Gründen, vor allem aber, weil es mir nicht gelungen ist, einen einfachen Gedanken niederzuhalten, und weil dieser Gedanke mir dann verwehrt hat, richtig zu tun, so dass man danach wirklich erleichtert ist. Denn ich zelebriere das im Bad bestimmt nicht. Ich brauche dort keine Romane oder Comic-Hefte oder was bei anderen Leuten da so als Lektüre liegt. Als Lektüre! Ich setze mich auf die Schüssel und tue und fertig. Aber nun haben mir das wieder die Italiener vermasselt. Ihr komisches Bidet ist im Grunde mitschuld an meinen Verdauungsproblemen, dass ich deswegen auch noch diese gelben Tabletten nehmen muss.
Da fällt es mir schwer, nicht gereizt zu sein und wieder runterzukommen – gar kein schlechter Ausdruck, denke ich, auch wenn ich mich sonst dagegen wehre, in diese neudeutsche Gossensprache zu verfallen. Denn wenn man einmal auf einen Berg gestiegen ist, wie ich das in gewisser Weise so oft tue, kommt man eben nicht so schnell wieder runter.

© Andreas Venzke